Athena Farrokhzad
Bleiweiß
Gedicht. Aus dem Schwedischen von Clara Sondermann
- Kategorie
- Allgemeine Literatur
Begründung der Jury
Eine Silberfolienprägung der Titelzeilen veredelt den schlichten Einband, der mit einem weißen, matten und ansonsten ungeschützten Papier gefertigt wurde. Innen zeigt sich der schmale Pappband in lakonischer Ausstattung – einfaches Papier, einfarbig schwarzer Digitaldruck. Die 72 Seiten füllt ein einziges Gedicht. Aber ein langes.
In schwarzen, linksbündig flatternden Balken stehen die freien Verse negativ weiß – irgendwie denkt man an Zensurschwärzungen. Die Balken scheinen zufällig in mal kleinen, meist großen Abständen verteilt – dazwischen Papierweiß: Ungesagtes? Gedankenpausen? Die bereits gesprochenen wie die künftigen Sätze schimmern durch das Papier – Nachhall und Vorahnung?
Die Autorin reflektiert ihre Rolle innerhalb der Familie, die aus dem Iran nach Schweden emigrierte. Die Einlassungen von Mutter, Vater, Bruder, Onkel und Großmutter schwirren um sie herum – die unausgesprochene Familiengeschichte formiert sich allmählich zwischen den Zeilen, so wie ihr Bruder sagte: „Das Vergangene ist ein Übergriff, der niemals aufhört.“
Doppelpunkte sind die einzigen Interpunktionen. Die Typografie inszeniert offenbar das Gedicht im Dramensatz, quasi als performative Anweisung, wie in einem Theaterskript. Ihre Kunst besteht in der Visualisierung einer paradoxen Aufführung: Das Ganze stellt sich als ein einziger Monolog über sich selbst dar, ohne dass die Sprecherin zu Wort kommt.