Gabriele Stötzer
Der lange Arm der Stasi
Die Kunstszene der 1960er, 1970er und 1980er in Erfurt – ein Bericht
- Kategorie
- Ratgeber - Sachbücher
Begründung der Jury
»Plane mit, arbeite mit, regiere mit« – was wie demokratische Teilhabe in einer rechtsstaatlichen Zivilgesellschaft klingt, war ab 1958 ein Motto der DDR-Regierung. Dieses Motto als Grundhaltung der Arbeiter:innen nahm die Künstlerin Gabriele Stötzer ernst. Zu ernst. Wegen Staatsverleumdung saß sie in Haft.
Gabriele Stötzer stellt 32 Kunstschaffende aus der Erfurter Untergrundszene in einseitigen Kurzporträts – also jeweils auf einer Seite – vor, bebildert mit biografischen Schnappschüssen. In dem System von Linien, das quasi als Formular für alle Buchseiten gilt, wirken sie wie poetische Steckbriefe, und das mit Absicht. Die Autorin hatte in den Akten des Staatssicherheitsdienstes recherchiert. Man erfährt, wer schikaniert wurde, wer sich – gezwungenermaßen oder willfährig – als inoffizieller Mitarbeiter anheuern ließ und wer unter intensiver Beobachtung der Stasi stand. Um in den Radius des langen Armes zu geraten, genügten selbstgenähte punkige Kleidung oder langes Männerhaar. Auf den Künstler Matthias Büchner beispielsweise waren 100 Spitzel angesetzt.
Die Überschriften erscheinen in bemerkenswerten Großbuchstaben. Mit dickem Stift wurden sie gezeichnet und dann für den Zugriff mittels Tastatur digitalisiert. Sie enthalten verschiedene Konnotationen: der moderne Holzschnitt, dessen Expressivität in der DDR gepflegt wurde und bis in die heutige Zeit hineinwirkt, das Handlettering subversiver Flugblatttypografie. Das aggressive S spiegelt die Zuckung des Z(ett). Durch Bücher wie dieses verliert jede Ostalgie ihre Romantik.