A. L. Kennedy
Der letzte Schrei
Erzählungen
- Kategorie
- Allgemeine Literatur
Begründung der Jury
Irgendwie scheint der Einband aus einem Antiquariatsregal gegriffen worden zu sein. Der Schutzumschlag fehlt, der Einband hell, freundlich und leicht gelblich, Schriftanmutung irgendwo zwischen 1930 und 1950, die Bildmotive einem biologischen Bestimmungsbuch entnommen. Das ist nicht etwa so gemeint, als sei das Buch von gestern – im Gegenteil: Es sieht so aus, als wäre es schon immer da gewesen. Toll, das Gewebe eines Buches anzufassen, ohne einen Umschlag abfummeln zu müssen. So wie jetzt streicht man selten mit der Hand über ein gedrucktes Bild.
Was für ein rätselhafter Kontrast zwischen dem Titel – Der letzte Schrei – und den beiden stummen, nach Luft schnappenden Fischen, die sich auf vorgegebener Kreisbahn winden. Wie ein astrologisches Signum, wie ein ikonisches Motto visualisiert der Einband das durchgehende Motiv der Erzählungen: Paare, Liebe, Sprachlosigkeit, Versagen, Verlangen, das ganze Durcheinander.
Eine der wenigen wirklich zeitlosen Regeln für den Satz von Lesetext verliert hier ihre Gültigkeit. Ohne Einzüge sind die Absätze der Geschichten gegliedert. Sie sind zahlreich und sehr kurz – oft sogar einzeilig mehrfach hintereinander und gebieten geradezu den Verzicht auf Einzug, der den Absatzanfang nicht mehr markieren, sondern den linken Satzrand zum Stottern bringen würde.
Auf den Kapitelanfängen gerät das Einbandmotiv in Bewegung: Ein einzelner Fisch dreht sich, von Kapitel zu Kapitel immer ein Stückchen weitergerückt, am Ende im Kreis.