Leonhard Hieronymi, Clemens Setz, Dax Werner u.a.
Mindstate Malibu
Kritik ist auch nur eine Form von Eskapismus
- Kategorie
- Allgemeine Literatur
Begründung der Jury
Auf Seite 204 ragen zwei Palmwedel aus dem Bildanschnitt in den Himmel. Der eine beugt sich, angestrahlt von einem Spektrallicht, wie ein Regenbogen zum gegenüberliegenden Bildrand; dahinter zeigt sich der andere, wie ein Memento mori, als Schattengerippe.
Diese Fotografie aus einer Bilderserie kann emblematisch für das Programm dieser Anthologie stehen: Ein paradiesischer Seelenzustand unter kalifornischem Sonnenuntergang als Lebensinhalt – das wär’s und das war’s.
In ähnlichem Kolorit räkeln sich auf dem glänzenden Umschlag dünne Zimmerpalmen wie Blitze durch einen abstrakten Neonröhrenraum. Nach rechts und links geneigte Titelversalien deuten an: Die Richtung spielt bei diesen Statements und Bildern keine Rolle.
Für die disparaten Aufsätze überhöht der Buchgestalter die klassische Kombination von Schriftfarbe im Buch: nie wieder Schwarz und mittelalterliches Auszeichnungsrot – ab jetzt nur noch extrafarbig, Violettblau und Neonpink. Die Trennseiten, vollflächig in diesem Pink bedruckt, blitzen beim Durchbiegen der Broschur ringsum auf.
In diesen Kontrasten erscheint ebenso wie in den Tweet-Wechsel als Ersatz für Vor- und Nachwort ein visueller Nachhall des kommunikativen Fragmentierens. In diesem Aspekt sind die Äußerungen der socialmedia-netzwerkenden Akteure mit Followern ohne Ende vereint: in der Dynamik, denn dies ist das Dogma, durch das sich die Verhältnisse früher oder später verflüchtigen sollen.
Was danach bliebe, wäre dieses Sammelmanifest – eine Reprojektion von Artikulationseinheiten aus dem Rausch des alloverconnected Selbstseins, zurück auf das soziale Medium des Buchpapiers. Wie sagen es Dax Werner und Start-up Claus so schön: »Erst mal alles wegaffirmieren«.