Judith Schalansky
Verzeichnis einiger Verluste
- Kategorie
- Allgemeine Literatur
Begründung der Jury
Tausende winzige Punkte auf dem Pappeinband bilden Verdichtungen, Leerstellen, Flächen: eine Landkarte, eine Meeresschaumkrone? Sind es weiße Punkte, sind es schwarze Punkte?
Ein Noch-Nicht oder ein Nicht-Mehr?
In zwölf Geschichten beschäftigt sich die Autorin mit verschwundenen Phänomenen. So geht es um den Kaspischen Tiger, um Guerickes Einhorn, um Sapphos Liebeslieder oder den Palast der Republik. Allen gemeinsam ist, dass es sich um faktisch Verschwundenes, um Ungesagtes oder Unaussprechliches, um Episoden aus der Kulturgeschichte und eigene Erinnerungslücken.
Gelenkt durch einen klassischen Satzspiegel fließen die Texte in einer modernen Antiqua über das gelblichweiße Werkdruckpapier. Die Kapitel beginnen mit einer langen Anmerkung, wie mit der Feder geschrieben, aber gesetzt in der dazugehörigen, skripturalen Kursive.
Alle Kapitel finden jeweils auf 16 Buchseiten ihren Platz, was es technisch ermöglicht, um jeden zweiten Falzbogen schwarze Trennblätter zu legen und in die Fadenheftung zu integrieren.
Diese Regelmäßigkeit ergibt im Anschnitt des geschlossenen Buches ein feinsinniges Muster von Trauerrändern. Die schwarzen Blätter selbst sind mit passenden Motiven schwarz bedruckt, es konkurrieren also zwei Schwarztöne, als wenn es um eine Konkurrenz des Verschwindens ginge. Man würde von verblichenen Bildern sprechen, wenn sie eben nur nicht schwarz wären.
Dass sich in diesem Band alles so elegant fügt, liegt daran, dass die Autorin ihre eigene Buchgestalterin ist.
Ein Nachlassbuch, ein Kondolenzbuch? In gewisser Weise beides.