Ondine Pannet
Historische und geografische Beschreibung der Insel Formosa
Nach den Schriften des geborenen Formosaners George Psalmanaazaar (London, 1704)
Begründung der Jury
Kein Text. Nirgends. Nur auf dem Rücken drei einsame Grapheme. Ansonsten ist der Einband mit bläulich-mintgrünem Papier bezogen, vorn und hinten bedeckt von Palmwipfeln in groben schwarzen Rasterpunkten. Rätselhaft, exotisch, fragwürdig.
Nach schwarzem Vorsatz kommt in einem ersten Tafelteil etwas Licht in die Sache: Farbfotos von tropischem Dickicht. Es folgt der Innentitel in barocker Manier, es handelt sich um den Bericht aus dem Jahre 1704 über ein Volk am anderen Ende der Welt, verfasst von einem gewissen George Psalmanaazaar.
Der detaillierte Inhalt ist typografisch als zweispaltige Enzyklopädie in alphabetischer Ordnung angelegt; aber ob es ein Reprint sein mag, eine typografisch modernisierende Überarbeitung oder die Erweiterung um neueste Forschungsergebnisse – das bleibt unklar. Egal. Aufregend genug, dass man hier zum ersten Mal das bislang nur phonetisch überlieferte Formosanisch in seinem eigenen Schriftsystem studieren kann – mit Hilfe des Wortschatzes Deutsch–Formosanisch und umgekehrt, im Anhang auf gelblich-mintgrünem Papier.
Seltsam: Unter den wissenschaftlichen Grafiken kommt einem die eine oder andere doch bekannt vor; hier eine Blastula und andere Stadien der Zellteilung, da die Formvariationen von Bohrerspitzen. Irgendetwas stimmt hier nicht. Die fotografischen Urwaldszenerien stammen aus einer Art Terrarium für Menschen, einem Exotik-Freizeitpark. Völlig absurd wird es im letzten Tafelteil mit den freigestellten Gummibäumen aus dem Gartencenter.
Diese Diplomarbeit ist eine buchkünstlerische Studie über das Wesen von Exotik. Es ist ein So-tun-als-ob, ein Verlangen nach dem Fremden ohne Berührungsrisiko.