Dayeon Auh, All the Games We Could Have Played
Ein farbenfrohes Buchobjekt – umhüllt von einem sanften, grauen Schleier. Wir klappen es auf.
Part 1: Links verbinden sich in Grün zwei Laschen zu einer Briefform. Ein Brief in Form eines grünen Heftes. Der erste Satz: „This is a slow, long letter for you”. Graue Zeichnungen stehen in Konfrontation mit Zeilen eines Dialogs rund um Depression. Die Betrachtung der Depression von außen, der Wunsch zu helfen. Graue Wolken, graue Bleistiftstrukturen, Schraffuren, Radiertes, doch Gebliebenes, Verwischtes. Graue Landschaften, der Wunsch nach Verbundenheit und gemeinsamem Spiel, Hoffnung und Licht. Unklarheit, ein Käfig.
Part 2: Rechts, ein orangefarbener Buchblock. Ein Gegenüber, ein Geschenk. Ein Angebot zum gemeinsamen Spiel. Eine Option. Spiele für zwei, Spiele für mehr, Spiele für sich allein. Eine bunte Welt tut sich auf. Abstrahierte Figuren in satten Farben, die das Zeichenmaterial und die Beschaffenheit des Farbauftrags nicht verbergen. Ein starker eigenständiger illustrativer Stil. „Let´s go outside and play together“. Spiele aus einer Kindheit in Korea. Schriften vermengen sich harmonisch in das Gemisch aus Bildern und Formen. Information und Emotion, gemeinsam. Im harmonischen Einklang stehen das lateinische Alphabet und einige Zeilen Hangul, das koreanischen Alphabet. Sie werden Teil des Spiels, ebenso wie Abrieb und das Durchdrücken der Farben – alles gehört dazu. 28 reich bebilderte Spielangebote, umgarnt von persönlichen Anekdoten und visuellen Impressionen, denen man sich kaum entziehen kann.
Die beiden Elemente der Publikation liegen in einer Buchtasche, die nicht nur zum Schutz dient, sondern auch beide visuelle Ebenen in Einklang bringt. Eine ehrliche Einladung an alle wieder ins Spielen zu kommen und diese menschliche Form der Interaktion wertzuschätzen.
Dayeon Auh (*1996) ist eine koreanische Künstlerin und Illustratorin mit Lebensmittelpunkt in Leipzig. Sie studierte Illustration in Halle und schloss 2025 ihren Master in Visueller Kommunikation/Illustration an der Udk Berlin ab. In ihren Arbeiten setzt sie sich mit vielschichtigen Emotionen auseinander. Ihre bunten Zeichnungen sind ein Ausdruck des Wunsches, Trost zu schenken und Gefühlen Raum zu geben – inmitten einer traurigen Welt. Mit analogen Materialien schafft sie eine Bildsprache, die die Unvollkommenheit und Lebendigkeit des Alltags sichtbar macht – und den Blick für das Schöne in den kleinen Freuden öffnet.
Luis Adrian Borchardt, Anti-Environments
Ein Buchkörper mit einem besonderen Volumen, eingefasst in grauen Karton mittels doppeltem Heftverschluss. Ein massiver, dreizeiliger Link zu einem Google-Sheets-Dokument auf der Front. Schlicht, aber extrem überzeugend. Die Neugier ist geweckt.
Seitenweise Arial, durchstoßen von einer Flut experimenteller Bilder. Das fluffige Volumen entsteht durch zahlreiche auf A5 gefaltete A4-Bögen. Durchgängig mit einem tabellarischen Raster bedruckt, das eine markante Struktur schafft. Ein Layout, entstanden in einem „gestaltungsfernen“ Programm. Genutzt für die eigene Intention, sich neue andersartige Tools zu erschließen und deren Potentiale zu erkunden. Die Einschränkungen des Programms werden bewusst als gestalterische Chance verstanden – Limitierung als produktiver Rahmen.
„Anti-Environments“ trägt diverse Werkzeuge zusammen – entwickelt von Designer:innen, häufig in Form kleiner Creative-Coding-Tools. Diese werden ergänzt durch Hinweise auf Software, die ursprünglich keinem klassischen gestalterischen Zweck dienen sollte. Vom Audiorekorder zur Generierung von visuellem Output über klassische Texteditoren bis zum Tabellenkalkulationsprogramm Google Sheets, in dem die vorliegende Publikation komplett erstellt und gelayoutet wurde. Bereits die Art der Heftung verweist auf den offenen, modularen Charakter des Objekts: Die Sammlung ist erweiterbar und lässt sich Dank A4-Format leicht ausdrucken und reproduzieren, und das, ohne eine Zwischenplattform nutzen zu müssen. Direkt Web-to-Print. Potenzielle Zugänglichkeit für Interessierte. Ein Katalog experimenteller Möglichkeiten wird aufgezeigt und motiviert zum Beschreiten neuer visueller Wege und dem Hinterfragen von Werkzeugen als reine Ausführungsmedien. Gestaltung gegen passives Nutzungsverhalten.
Luis Adrian Borchardt (*2001) ist Designer und Künstler. Er studierte Kommunikationsdesign in Mainz und lebt derzeit in Berlin. In seiner Arbeit beschäftigt er sich mit experimentellen Publikationsformaten und digitalen Prozessen in ästhetischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen. Dabei interessiert ihn besonders der kreative Umgang mit Fehlern, technologischen Limitationen und Zweckentfremdung sowie die Frage, wie Technologie unsere Interaktions- und Verhaltensmuster prägt und welche Wechselwirkungen daraus entstehen. Seine Arbeit versteht sich als Suche nach autonomen Ausdrucksformen in einer zunehmend automatisierten, optimierten und von Interfaces durchdrungenen Welt.
Nora Börding, Anne Speltz, Maria Calzolari & Hendrik Heinicke, The forgotten stories of the 'Boat Driver'
Ein großformatiger, schwerer Bildband, bestehend aus sieben Geschichten, die keine leichten sind. Schwer, aber feinfühlig erzählt, ebenso im Bereich der Visualität und Materialität.
Ein mattblaues Cover, das nur den Titel in der rechten unteren Ecke trägt. Links oben tauchen innerhalb des Buchs, einzelne Namen auf: Alieu, Muhammed, Haruna, Issa, Hasan, Anifane und Zafer – von deren Leben wir Zug um Zug mehr erfahren. Angereichert durch extrem starke fotografische Impressionen. Orte – die Wege verändern sollten, Bauten – in denen schicksalsentscheidende Beschlüsse gefasst wurden, Dokumente – von denen Vieles abhing, und Portraits der Geflüchteten – von hoher Präzision und Stärke.
Die Fotografien erhalten im Layout angemessen Luft zum Atmen, und Wirken. Die Schriftblöcke sind mit fetten Lettern gefüllt, die eine gewisse Schwere der Geschichten mittragen, aber das Lesen dennoch leicht machen. Die Materialwahl ist sanft, doch kraftvoll. Nur die Einschübe auf verkürztem glossy Papier sind unangenehm brachial. Auf ihnen prangen stark vergrößerte aufgepixelte Screenshots von Entscheidungsträger:innen in politischen Verhandlungen, die zur Kriminalisierung der „Boat Drivers“ führten. Europäische Gesetzgebung wird hinterfragt und macht deren Auswirkungen mittels der Individualgeschichten erschreckend deutlich. Die eingestreuten Dokumente der Betroffenen schaffen Nähe und Konkretheit.
Die jahrelange Auseinandersetzung und Recherche, die diesem Fotografieprojekt zugrunde liegen, sind unübersehbar. Würdig übertragen – in Material und Satz.
Nora Börding (*1994) und Anne Speltz (*1996) sind Dokumentarfotografinnen aus Deutschland und Luxemburg. Beide studierten Fotojournalismus und Dokumentarfotografie. Ihre Arbeiten befassen sich mit sensiblen gesellschaftlichen Themen, wobei sie durch langfristige Zusammenarbeit mit ihren Protagonist:innen respektvolle und einfühlsame Darstellungen schaffen. Für sie ist Fotografie ein Dialog, der unterschiedliche Perspektiven aufzeigt.
Maria Calzolari (*1997) und Hendrik Heinicke (*1996) sind Grafikdesigner:innen, die ihre Studien in Design und Typografie an internationalen Schulen wie der Haute école des arts du Rhin in Straßburg und der HGB Leipzig absolvierten. Ihre Arbeiten verbinden typografische, buchkünstlerische und forschende Ansätze und beschäftigen sich intensiv mit sozialen, politischen und anthropologischen Themen, insbesondere der Verbindung von Gestaltung und politischem Protest.